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«Wandzeitung» vom 27.11.2014:

Alltägliches:

Die Handyfalle.

Da ist sie wieder, die schwierige Festtagszeit in der so viele Menschen einsam sind. Ob sie nun ungewollt Single sind oder in einer unbefriedigenden Beziehung sitzen und nicht den Mut und die Kraft haben einen Schluss-Strich zu ziehen.

Meine Geschichte spielt in einer Phase, in der ich als alleinerziehende Mutter mein Herz wieder verschenken wollte. Es fehlte mir die Wärme und Geborgenheit eines Mannes, der mich liebte, das Teilen von Alltäglichem und Unerhörtem. In dem Moment, als ich einen verpassten Anruf auf dem Display sah, war ich besonders verletzlich. Die Neugierde packte mich und ich simste, dass es sich nur um ein Versehen handeln könne, da ich meine Nummer nur wenigen Menschen bekannt gegeben habe. In jener Zeit war es tatsächlich so, dass man kaum ein Natel sah und man es nur fürs Sprechen und Schreiben nutzte. Ich staunte nicht schlecht, als es plötzlich klingelte. Eine angenehm männliche Stimme bedankte sich für meine Aufmerksamkeit, er habe sich tatsächlich verwählt. Ob ich es wollte oder nicht, wir kamen ins Gespräch, lachten zusammen und verabschiedeten uns. Ich war ganz aufgekratzt. Für den Rest des Tages war ich beflügelt.

Tage später rief er wieder an. Diesmal mit Kalkül. Er wollte wissen, wie es mir ginge! Ich war geplättet. Wir telefonierten etwa eine halbe Stunde lang. Er erzählte mir, dass er Single und Lokführer sei. Er habe eine grosse Vogelvoliere, lebe in einem grosszügigen Haus mit toller Aussicht. Ich erzählte von meinem Leben und Arbeiten und meiner Leidenschaft zum Schreiben. Die Aufmerksamkeit des Mannes tat mir gut. Er verabschiedete sich mit dem Versprechen, dass er sich wieder melden würde.

Fortan rief er jede Woche an. Ich freute mich darauf, wählte ihn aber nie an, denn eigentlich telefoniere ich nicht gerne. Trotzdem waren es Highlights für mich. Wir fanden heraus, dass er oft in Herisau vorbei fährt mit seinem Zug. Er versprach, dass er dort einmal Pause machen würde, damit wir zusammen einen Kaffee trinken könnten.

Nach einigen Monaten sah ich wieder seine Nummer auf dem Display. Aber anstelle seiner warmen Stimme war da eine Frau. Sie herrschte mich an, dass ich ihren Mann in Ruhe lassen solle. Mir wurde fast schwarz vor Augen. Sie beschuldigte mich, dass ich von einer Partneragentur sei, die ihren Mann vermitteln wolle. Fassungslos fragte ich, wie sie darauf komme und ich hätte nicht gewusst, dass er verheiratet sei! Sie meinte, ihr Mann hätte dies gesagt. Nun hörte ich eine hysterische Stimme im Hintergrund: «Ich kenn die nicht! Ich kenn die nicht!» Der absolute Alptraum. Ich rechtfertigte mich weiter und erzählte ihr Details von unseren Gesprächen. «Sie brauchen nicht weiterreden», unterbrach sie mich plötzlich kleinlaut, sie glaubte mir. Ich hatte so was ganz sicher nicht gewollt. Ich wünschte ihr zum Abschied alles Gute für das, was nun kommen möge.

Mit weichen Beinen setzte ich mich auf den Boden. Ich kam mir geschändet vor und hatte Mitleid mit den Beiden. Drei einsame Herzen; das eine betrogen, das andere krank und das Dritte missbraucht. Frohe Adventszeit!


Momo Appenzeller,
27.11.2014, 113. Jahrgang, Nr. 175.

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