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«Wandzeitung» vom 2.5.2015:

Alltägliches:

Bye bye, Gebärmütterchen.

Es wummert in meinem Inneren. Meine beiden Söhne haben sich schon liebevoll von ihrer «ehemaligen Ein-Zimmer-Wohnung», wie sie gern sagen, verabschiedet. Mit einem zarten Streicheln über meinen wehen Bauch. Ich sitze auf dem Spitalbett mit Ausblick auf eine verschneite Tanne und warte auf mein nächstes, grosses Abenteuer. Ab und zu muss ich aufs Kabäuschen springen, um mich von Altlasten zu befreien.

46 Jahre und ein paar Zerquetschte waren wir ein eingespieltes Team. Gut 30 davon hat sie sich Monat für Monat durch ihren Zyklus gequält – und mich damit. Wir waren etwas über 24, da hatte sich heimlich ein Ei eingenistet. Mittels Drei-Monatsspritze hatte ich dies jahrelang erfolgreich zu verhindern gesucht. Bis zum besagten Moment – und dann kam Philip. Mein Uterus hatte es schon über sieben Wochen gewusst und das Geheimnis für sich behalten. Mein Arzt und ich wunderten uns über die vermeintliche, hartnäckige Magendarmgrippe. Die Nachricht, dass ich schwanger sei, hat mich fast umgehauen – und mein Umfeld auch. Immerhin beherbergte Uterus meinen Nachwuchs eine angemessene Zeit. Die Plazenta war ihre beste Freundin, bis übers Ablaufdatum hinaus. Tapfer kontrahierte mein Uterus während sechseinhalb Stunden Philip durch den Geburtskanal. Stur und beharrlich, obwohl das Kinderherz dagegen protestierte. Glücklicherweise startete Philip munter, wenn auch mit einem ADHS, in die Adventszeit. Fleissig bildete sich das Gebärmütterchen zurück und machte seine Arbeit weiter. Das Zusammenspiel mit den Eileitern war synchron, sie hielten sich zuverlässig an den Zeitplan. Aber leider verging kein Monat ohne Gezicke.

Als ich mich zwei Jahre später für ein Wunschkind entschied und die Drei-Monatspritze ihren Dienst quittierte, nahm Uterus freudig ihren zweiten Gast auf – Dominik. Allerdings schwächelte sie zunehmend. Schon kleinste Anstrengungen lösten Wehen aus. Nach 32 Wochen gab es eine Lücke in der Fruchtblase. Fünf Tage noch harrten wir zusammen aus, dann setzte sich Uterus durch – wollte den Untermieter loswerden. Okay, sagte ich, dann ist Ende Gelände! Ich liess die Eileitern kappen und verdonnerte die Gebärmutter zu lästiger Routinearbeit; Schleimhaut aufbauen, Schleimhaut austreiben. Sie rächte sich mit regelmässigen Krämpfen.

Als wir 42 waren fing sie an ihre Zellstruktur zu verändern. Meine Ärztin beobachtete dies mit Besorgnis. Alle sechs Monate gab sie Uterus eine neue Chance. Aber die wollte sie nicht mehr. Heute geben wir ihrem Willen nach – ich sage meinen Dank. Bald werden wir uns trennen. Wir beide gehen unserer Bestimmung entgegen.

Ich lebe weiter – sie musste gehen. Mit einem Blick und Dank verabschiede ich mich von ihr. Zirka 10 x 5 Zentimeter gross und 70 Gramm schwer liegt sie da. Wie ein Ei sieht sie aus, rosa mit einem feinen, weisslichen Gewebe überzogen. So wird mir mein Uterus in Erinnerung bleiben.

Der Schnee auf der Tanne ist nur kurz geblieben. Regentropfen fallen wie ein Vorhang. Draussen höre ich Babygeschrei. Ich kann es gelassen nehmen. Für mich ist nun ein neuer Abschnitt vorgesehen.


Momo Appenzeller,
2.5.2015, 114. Jahrgang, Nr. 122.

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