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«Wandzeitung» vom 23.6.2015:

Von Sinn und Unsinn des ICC:

Ein U-Bahn-Gespräch (2).

«Jetzt wollen die Israelis tatsächlich, dass der ICC abgeschafft wird!» – «Der Internet Chess Club? Wo soll ich dann geeignete Partner für meine Internetschachpartien finden?» – «Du immer mit deinem blöden Schach! Gemeint ist natürlich der viel wichtigere International Criminal Court, der Internationale Strafgerichtshof, von Afrikanern mitunter scherzhaft auch International Colonial Court genannt.» – «So etwas gibt es?»

«Manchmal bin ich geradezu entsetzt über deine Unwissenheit. Der Mensch, der sich gern in grotesker Verkennung seiner wahren Natur als sapiens sapiens bezeichnet, neigt bekanntlich dazu, Kriege gegen Angehörige seiner Art zu führen, sie auszurotten, zu ermorden, zu versklaven, zu deportieren. All diese Verbrechen sollten aber nicht ungesühnt bleiben. Deshalb schlug schon im Jahr 1872 der Schweizer Gustave Moynier die Errichtung eines Internationalen Strafgerichtshofs vor.» – «So lange gibt es den schon?» – «Gemach, gemach! Es mussten erst allerlei Widerstände überwunden und einige Weltkriege geführt werden, aber schon wenig mehr als ein Jahrhundert später wurde mit Inkrafttreten des so genannten Römischen Statuts am 1. Juli 2002 der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag eingerichtet. Er ist nun zuständig für die Verfolgung von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Angriffskriegen.»

«Da hat er ja eine Menge zu tun. Und wurden schon viele Staaten verurteilt?» – «Belangt werden nur Personen. Und er nimmt erst dann seine Tätigkeit auf, wenn die zuständigen nationalen Behörden nicht willens oder in der Lage sind, die Täter zu verfolgen.» – «Auch da sollte noch eine erkleckliche Anzahl von Verfahren zusammenkommen, wenn ich mir so die Weltereignisse in den letzten Jahrzehnten ansehe ...» – «Na ja, der ICC darf nur Vorkommnisse nach dem 1. Juli 2002 beurteilen. Bisher kam es zu acht Untersuchungen, alle gegen Angehörige afrikanischer Staaten, und zu zwei Verurteilungen kongolesischer Milizenführer.»

«Zwei Verurteilungen also in über einem Jahrzehnt... Und gegen verbrecherische Staatschefs wird nicht vorgegangen?» – «Doch, doch. Angeklagt wurden Kenyatta, der Präsident von Kenia, und al-Bashir, der Präsident des Sudan. Die Anklage gegen den ersten wurde aus Mangel an Beweisen zurückgezogen, die Ermittlungen gegen den zweiten wurden mangels Aussicht auf Erfolg eingestellt. Der ICC hat keinen eigenen Vollzugsapparat und ist darauf angewiesen, dass sich die Verbrecher selbst stellen oder von anderen mächtigen Institutionen gefangen werden.»

«Nun, solche Institutionen gibt es doch. Wird der ICC nicht von ihnen unterstützt?» – «Über 120 Staaten gehören ihm an, darunter die Hauptbeitragszahler Japan und Deutschland. Nicht ratifiziert haben den Vertrag leider u.a. die drei ständigen Sicherheitsratsmitglieder USA, Russland und China. Der amerikanische Präsident wurde durch ein Gesetz der USA sogar dazu ermächtigt, im Bedarfsfall vor dem ICC angeklagte US-Bürger durch militärische Invasion zu befreien.»

«Und du meinst wirklich, der Strafgerichtshof sei wichtiger als mein Schachclub? Aber ich muss jetzt aussteigen. Spittelau. Bis zum nächsten Mal!»

 


Herbert Danzer,
23.6.2015, 114. Jahrgang, Nr. 174.

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