Logo Wandzeitung
Herausgeber: Guido Blumer & Roger Rutz.
Archiv:   Blog:   Echo:   Home:   Kontakt:   Leitbild:   Partner:   Sponsoren:   Twitter

«Wandzeitung» vom 4.5.2015:

Anstatt Frontex:

Wir müssen lernen zu teilen!

Die paar Tage in der Emilia Romagna habe ich sehr genossen. Sie haben mich aber auch tief aufgewühlt. Fast körperlich verspüre ich den Schmerz darüber, was aus meiner Sicht einfach nicht aufgeht, so grundsätzlich falsch ist, an dem wir als Gesellschaft klar einen Teil Schuld tragen. Aber der Reihe nach:

Zu Gast bei einer lieben Freundin und deren Partner, zwischen zwei Po-Armen, mitten in der Ebene. Ihr Grundstück liegt mitten in der Landwirtschaft. Die einzelnen Äcker werden umgeben von einem ausgeklügelten Kanalsystem. Mit Schiebern kann jedem Acker zur gewünschten Zeit die benötigte Menge Wasser zugeleitet werden. Auch Reis wird in dieser wunderbaren Gegend angebaut. Der saure Boden lässt eine schwarze, schmackhafte Sorte wachsen, den Bruno in seinem kleinen Geschäft in Jolanda vertreibt. Bruno weiss viel über die Gegend. Der bekennende Vogelschützer erzählt unter anderem, wie die Vögel kurz vor Beginn der Jagdsaison jeweils aus der Gegend verschwinden und Unterschlupf suchen im Vogelreservat auf dem Podelta. Die Menschen hier haben wenig, aber sie pflegen Musse.

Geschichten werden erzählt, Befindlichkeiten ausgetauscht. Immer wieder das zentrale Thema Arbeit. Viele finden keine Arbeit, kleinere Bauernbetriebe geben auf, KMU gehen ein, die Region entvölkert sich, ganze Häuserzeilen stehen zum Verkauf und viele Bauernhäuser, Lager und Scheunen zwischen den Äckern stehen leer und zerfallen.

Von der viertausend Jahre alten Düne, die heute dreissig Kilometer hinter der Küste liegt, haben wir auf die Ebene geschaut, sind mit dem Velo auf dem Podamm gefahren und haben auf der Piazza des kleinen Dorfes Cafe getrunken.

Da liegt jeweils auch die Zeitung auf, bereit, weitergereicht und nochmals gelesen zu werden. Jeden Tag ist auf der Titelseite ein völlig überfülltes Flüchtlingsboot abgebildet. Jeden Tag ein anderes, neues. Die Menschen in den Booten besitzen nur, was sie auf dem Leib tragen. Sie brauchen einen Platz zum Leben, ein Dach über dem Kopf und zu essen. Und wir sitzen im Cafe inmitten fruchtbarer Felder und leerer, zerfallender Häuser. Mein Magen zieht sich zusammen, schmerzt, schmerzt noch immer, wenn ich mir dieses Bild wieder vor Augen führe. Ich bringe es nicht zusammen.

Die Schweiz ist Teil der Festung Europa, denn wir sind zahlendes Mitglied bei Frontex, dieser europäischen Organisation, die unsere Festung gegen Eindringlinge auf Flüchtlingsbooten schützt. Die Mitgliedschaft bei Frontex wurde vom Schweizer Parlament vor ein paar Jahren grossmehrheitlich beschlossen.

Die Schweiz produziert und liefert Waffen. Das schafft Arbeitsplätze und Wohlstand. Die Schweiz beherbergt multinationale Konzerne, die Gewinne aus den ärmsten Ländern der Welt steuerbefreit zu uns verschieben. Die Schweiz ist sicherer Hafen für alle Sorten von Schmutzgeldern. Die Schweiz trägt mit Europa zusammen zur Armut ausserhalb Europas bei. Wir sind mitverantwortlich für die Flüchtlingsströme.

Das ist beschämend. Hier müssen wir ansetzen. Wir sollten, wir müssen dringend lernen uns zu beschränken, zu teilen, ob wir wollen oder nicht. Lieber heute als morgen.


Marlies Bänziger,
4.5.2015, 114. Jahrgang, Nr. 124.

Artikel als PDF downloaden

Zu diesem Artikel wurde noch kein Standpunkt abgegeben.

 

Veröffentlichen Sie als erste Person Ihren

Standpunkt*:

Name:

*Wir freuen uns sehr über Ihre Gedanken zum Text des Tages, bitten Sie jedoch, keine Personen zu verunglimpfen und deren Haltung mit Respekt zu begegnen. Danke schön. Verstösse gegen unser Leitbild werden indes nicht verbreitet.

 

Winterthurs kleinste Zeitung der Schweiz.