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«Wandzeitung» vom 10.2.2015:

Charlie Hebdo:

Richtig trauern.

Wir sassen in einem 100-Seelendorf in der iranischen Wüste, als wir zwei Tage verspätet von den Anschlägen in Paris erfuhren. Eine junge Französin, die seit Kurzem da lebte erzählte uns davon. Ich war weit davon entfernt das Ausmass dieses Anschlages zu begreifen. Die Nachricht war abstrakt. Genauso wie die Nachricht von dem Anschlag in Pakistan, der sich wenige Wochen zuvor ereignet hatte und dem 130 Menschen zum Opfer fielen.

Erst nachdem ich mich online über die Anschläge informierte, kam die Betroffenheit. Wie konnte so etwas passieren? Was waren das für Menschen? Das Ganze war unfassbar. Auf Facebook fragte jemand: «Wer demonstriert für die 2000 Menschen in Nigeria, die im gleichen Monat Opfer islamistischer Terroristen wurden?» Das machte mich nachdenklich. War es nun in Ordnung, um die Opfer von Paris zu trauern? Oder war es ein Zeichen meiner Ignoranz gegenüber der Realität in vielen anderen Ländern? Die Menschen kommen ja nicht nur durch terroristische Anschläge um. Kriege, Hunger und Krankheit bestimmen an vielen Orten in der Welt den Alltag. Aber das können wir uns nicht vorstellen. Denn wir leben an einem anderen Ort. In einer perfekten Welt würden wir keinen Unterschied machen zwischen dem pakistanischen Polizeianwärter und dem französischen Starkarikaturisten. Aber in der realen Welt machen wir einen Unterschied. Die Medien machen einen Unterschied und als Konsequenz davon fühle ich den Unterschied. Das ist genauso erschreckend wie banal. Je ausführlicher über ein Ereignis berichtet wird, desto eher bewegt es uns.

Haben die Medien den Anschlägen von Paris zu viel Aufmerksamkeit gewidmet? Aber die Medien sind ja keine göttliche Instanz, sondern Menschen, die ebenfalls emotional funktionieren und von den Ereignissen aufgewühlt werden. Paris ist nun einmal näher als Pakistan und so ist es viel einfacher mich in den Karikaturisten zu versetzen, mir seinen Alltag und sein Leben vorzustellen und den Moment, in dem ein Killer sein Büro stürmte. Er muss gedacht haben, er sei im falschen Film. Denn das ist es unter anderem, was uns Europäer eint: Wir leben seit bald 70 Jahren im Frieden. Gewalt und Krieg sind für die meisten von uns etwas Unwirkliches. Kalaschnikows kennen wir nur aus den Nachrichten und aus Actionfilmen.

Es ist unbestreitbar, dass die Medien unseren Blick auf das Weltgeschehen steuern. Umso mehr sind wir gefordert, unsere Reaktion auf das was passiert, kritisch zu hinterfragen. Ich finde es schön, dass in Paris eine Million Menschen ihre Trauer demonstriert haben. In Zeiten der Not tut es gut, zusammenzuhalten und ein Ventil für die eigenen Gefühle zu haben. Wenn man privat einen Todesfall zu betrauern hat, vergleicht man sein Schicksal ja auch nicht mit dem von anderen Menschen, denen es noch viel schlechter geht. Trotzdem hilft es, nach dem ersten emotionalen Ausbruch, die Ereignisse wieder in einen grösseren Zusammenhang zu stellen. Die Bedrohung, die von Terroristen ausgeht, ist zwar real, doch wenn man bedenkt, dass in der EU täglich durchschnittlich 72 Menschen an den Folgen eines Verkehrsunfalls sterben, ist sie eben doch nur eine Bedrohung von vielen.

 

 

 


Anita Blumer,
10.2.2015, 114. Jahrgang, Nr. 41.

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