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«Wandzeitung» vom 15.6.2015:

EIN SATZ:

Spucken Wort.

Das Knallis liegt gen Italien. CLARA BUNTIN an den Solothurner Faseltagen.

Grosse Dichter sind regelmässig tot. Ihr Ableben ist eine notwendige Bedingung dafür, dass sie gross sind. Jedoch keine hinreichende. Längst nicht alle, die schreiben, sind nach ihrem Tod gross, geschweige denn vorher. Die grossen, die schon viele Jahrzehnte tot sind, nennen wir Klassiker. Abhängig ist die Bewertung von der Nachfrage. Und die wird bekanntlicherweise erzeugt. Von selbst ergäbe sie sich nicht. Tröstlich.

Niemand fragt einfach so nach, ausser nach Grundbedürfnissen. Alles andere ist Gegenstand des Marketings. So auch das Produkt des Dichtens, was ursprünglich Verdichten bedeutet: Was wir gewöhnlich Sterblichen nur ungefähr ausdrücken können, die Dichterin bringt’s auf den Punkt. Interpunktionsbedingt auf viele Punkte. Oft auf zu viele.

Eins der dicksten Bücher deutscher Zunge schrieb Arno Schmidt mit Zettels Traum. Mit 1334 Seiten und geschätzten10 Punkten pro Seite, hat er den Sachverhalt auf fast 15 000 Punkte gebracht. Bei ähnlicher Dicke schafft es Thomas Mann nur auf deutlich weniger pro Buch. Das liegt an seinen endlosen Satzperioden, die Schülergenerationen traumatisierten und auch weiterhin traumatisieren werden, bis er einmal vergessen gegangen sein wird. Bis bei Mann ein Punkt kommt, können schon mal eine bis zwei Druckseiten vorübergehen.

Mann gilt als Klassiker, obschon er nur zwei Jahrzehnte früher als Schmidt gestorben ist. Ein Hindernis für diesen ist sicher, dass er selbst geschrieben hat, dass es keine Klassiker gibt und darauf nun behaftet wird. Aber er ist ja im Gegensatz zu Mann auch kein Nobelpreisträger. Die nobelste Preisung erleichtert die Klassikerbewirtschaftung ungemein, vor allem, wenn sie von sechs Ehrendoktorwürden flankiert ist. Eine wurde ihm zwar im dritten Reich wegen Entartung entzogen, es bleiben aber alleweil fünf. Schmidt verfügt dagegen über keine einzige. Und hat in der Wehrmacht gedient, was markttechnisch ungünstig daherkommt, Marschbefehl hin oder her.

Vielleicht hatte er aber auch bloss die falsche Werbeagentur. Während allein Thomas Manns Kernfamilie, bestehend aus IHM, IHM, IHM, Katia, Erika, Klaus, Golo, Monika, Elisabeth und Michael eine einzige Marketingfirma darstellte.

Um bekannt zu werden, muss man aber weder tot noch Klassiker sein. Und man muss schon gar nichts verdichten. Ein gespucktes Wort, neudeutsch Spoken Word, ein lausiger Kalauer genügt, und der Saal in Solothurn oder Klagenfurt tobt. Am lautesten applaudieren die Schriftstellerkollegen: lärmiger Neid nach jedem Auswurf. Wenn doch die Kehlköpfe mit Heiserkeit beschlagen oder noch besser die Finger vorher schon tastaturwund geworden wären!

Möge die Karawane rasch und lautlos weiterziehen und mögen die Kamele versterben, ohne als Klassiker gehandelt zu werden. Wenn es auch eigentlich Lamas wären, denn diese spucken.

Weder gegen sie noch Spoken Word ist etwas einzuwenden. So wenig wie gegen Written Word. Solange es gut gesprochen oder geschrieben ist. Aus allem andern möge auch keine noch so gewiefte Werbung einen Bestseller machen.


Adrian Ramsauer,
15.6.2015, 114. Jahrgang, Nr. 166.

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