Logo Wandzeitung
Herausgeber: Guido Blumer & Roger Rutz.
Archiv:   Blog:   Echo:   Home:   Kontakt:   Leitbild:   Partner:   Sponsoren:   Twitter

«Wandzeitung» vom 15.9.2015:

EIN SATZ:

Hochstrasse.

Furt mit däm Ghütt, i bi für d Anarchie. MANI MATTER

Der Berner Troubadour hatte mit seinem Chanson von 1972 das Bundeshaus im Visier. In der kleinen, fast grossen Stadt, die wir alle gut kennen, thronen zwar nur Schulhäuser prominent an Abhängen und keine Regierungsgebäude, aber auch hier wäre Nahrung für den Berner Anarchisten. Und inzwischen verfügt auch unsere Stadt neben ihrem repräsentativen, aber nicht sehr grossen Regierungsgebäude über einen den Wucherungen der Bürokratie entsprechenden markanten Plattenbau. Dass sie bei einer Versicherungsgesellschaft eingemietet ist, stellt nicht mangelnde Gewaltenteilung dar, sondern spiegelt das Bedürfnis nach Sicherheit, mehr Sicherheit und noch mehr Sicherheit.

Um nicht nebst anderem dem Verdacht der Anarchie ausgesetzt zu werden, muss ich auf Matters Chanson ausführlicher eingehen. Als der Anarchist den ominösen Satz sagt, während er bereits mit Dynamit im Gange ist, hält Matter ihm eine Predigt, die ein Pferd patriotisch gemacht hätte. Er spricht von den Segnungen der Demokratie und der Freiheit, nicht ohne Rekurs auf die Wiese aller Wiesen, die im herrschenden Mythos die Funktion einer Wiege der Eidgenossenschaft innehat. Das muss so sein, denn nur, wer als Säugling statt im Bettchen auf Büscheln von Gras gestillt wird, dem fällt es leichter, jenes über dieses und jenes schnell genug wachsen zu lassen.

Matter wäre nicht Matter, wenn ihm nicht anderntags Zweifel ob seiner Predigt gekommen wären. Er kommt zum Schluss, dass unabhängig von der Anarchie für alle Bauten eine zeitliche Begrenzung existiert: «schteit alles nume uf Zyt».

Das tröstet über jede Architektur hinweg, ausser über jene, die wir behalten wollen. Oder gar neu oder wieder errichten wie die denkmalgeschützte Bahnhofhalle im Tösstal. Während über dem denkmalgeschützten Bahnhof der kleinen, fast grossen Stadt alles andere als Schützenswerte throhnt. Für die meisten un- oder nur mittelbar in Form von Stahlgeäst über den Perrons sichtbar, aus welchem Tauben schmutzen. Die angebliche Architektur nennt sich Raumfachwerk.

Sie hat unlängst eine neue Zufahrt erhalten. Nach dem Leitsatz: Was der grossen Konkurrenz im Westen recht, ist der kleinen Stadt billig: Wo in Zürich eine Hochstrasse die Sihl einhaust, ist es bei uns, die wir bekanntlich keine relevantes Gewässer haben, bloss eine Lindenallee. Wie die Sihlhochstrasse ist auch unsere «filigran» und aus «hellem, schönem Beton». So gackert jedenfalls die Schar unabhängiger Architekturkritiker.

Böse Zungen behaupten, Matter hätte gar nicht das Bundeshaus gemeint, sondern das Bahnhofparkhaus in der kleinen, fast grossen Stadt. Das kann aber nicht sein, das Chanson ist viel älter. Das zeigt nur, wie gewöhnungsfähig der Mensch ist, und vor allem, wie rasch er den Eindruck erhält, etwas sei schon von alters her dagewesen.

Anarchisten nicht ausgenommen. Es gibt keine mehr, die man am Sprengen hindern könnte.

 

 


Adrian Ramsauer,
15.9.2015, 114. Jahrgang, Nr. 258.

Artikel als PDF downloaden

Zu diesem Artikel wurde noch kein Standpunkt abgegeben.

 

Veröffentlichen Sie als erste Person Ihren

Standpunkt*:

Name:

*Wir freuen uns sehr über Ihre Gedanken zum Text des Tages, bitten Sie jedoch, keine Personen zu verunglimpfen und deren Haltung mit Respekt zu begegnen. Danke schön. Verstösse gegen unser Leitbild werden indes nicht verbreitet.

 

Winterthurs kleinste Zeitung der Schweiz.