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Herausgeber: Guido Blumer & Roger Rutz.
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«Wandzeitung» vom 27.2.2015:

Es gibt so viele Erzähler und unglaublich wenige Hörer und Fragesteller:

«Wie geht’s?»

Als Pensionierter bin ich hin und wieder auf Reisen. Es gibt viele Möglichkeiten, mit dem Sitznachbar im Bus, bei Führungen oder beim gemeinsamen Essen mit unterschiedlichsten Menschen ins Gespräch zu kommen. Auch zu Hause, bei Vereinsanlässen, Vortragsbesuchen, beim Spaziergang im Quartier oder nach dem Kirchgang bieten sich Gesprächsmöglichkeiten an. Bei der Einstiegsfrage: «Wie geht’s?» muss kurz überlegt werden, ob sie mit «gut», oder «dem Alter entsprechend» beantwortet werden soll. Um langatmigen Darlegungen des allgemeinen sowie speziellen Gesundheitszustandes des Gesprächspartners zu vermeiden, empfiehlt es sich mit «gut» zu antworten. Auf die nächste Frage, «was machst du so?» antworte ich hin und wieder mit «ich schreibe mein zweites Buch.» Jetzt wird es spannend, denn entweder gibt es ein «aha» oder der Gesprächspartner erzählt ausführlich über all das, was er so macht, was seine Kinder und Enkelkinder machen. Die meisten Gesprächspartner und Gesprächspartnerinnen wollen weder fragen noch zuhören. Sie wollen selber aus ihrem Alltag, aus ihrem Leben erzählen. Es gibt so viele Erzähler und unglaublich wenige Hörer und Fragesteller. Ich hätte mir vorgestellt, der Hinweis auf meine Hobby-Schriftstellertätigkeit würde zu weiteren Fragen, zu einem Gespräch führen: Warum schreibst du ein Buch, es gibt doch schon so viele? Was war die Thematik des ersten Buches? Und welche beim zweiten? Warum dieses Thema? Ich muss mich mit dem «Aha» zufriedengeben. So werden vielleicht noch einige Belanglosigkeiten, «heute ist’s kalt» oder «Frau X ist nicht mehr gut auf den Beinen» ausgetauscht.

Ich schreibe auch regelmässig für eine Pfarrei-Zeitschrift. Nicht Menschen in der Ferne, sondern im persönlichen Umfeld lesen sie. Hie und da platziere ich einen provokativ formulierten Satz. Nie werde ich bei einer Begegnung darauf angesprochen, nie wird die Aussage in einem persönlichen Gespräch hinterfragt. Das gilt auch für unsere «Wandzeitung». Die vielen, oft auch pointiert verfassten Artikel führen sehr selten zu weiteren, in diesem Fall schriftlichen Statements. Die Rubrik «Standpunkt» ist mit dem Hinweis versehen: «Wir freuen uns sehr über viele Gedanken zum Text des Tages…» Doch meistens heisst es lapidar: «Zu diesem Artikel wurde noch kein Standpunkt abgegeben.»

Wir haben einen kleinen, diskussionsfreudigen Bekanntenkreis. Aber das Gespräch, engagierte Diskussionen müssten im Alltag mehr Bedeutung haben. Wir leben zu sehr in einem Zeitalter der vereinfachenden Schlagworte, geprägt durch die Boulevardzeitungen. Ein abschreckendes Beispiel für das «Nicht-aufeinander-eingehen» ist auch die Sendung «Arena» des Schweizer Fernsehens. Mechanisch werden rundum Schlagworte verteilt. Wer hört schon zu und geht auf die Diskussionsteilnehmer ein? Jeder, jede will nur sich selber hören.

Das neue Jahr ist noch nicht alt. Ein Vorsatz könnte darin bestehen, mehr auf andere Menschen einzugehen, mehr Fragen zu stellen, die Diskussion zu pflegen.


Haymo Empl,
27.2.2015, 114. Jahrgang, Nr. 58.

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Standpunkte:

1.3.2015, 09:34 Uhr.

Herbert Danzer schrieb:

Dass auch zu diesem Artikel bisher kein Standpunkt abgegeben worden ist, beweist immerhin die Berechtigung Ihrer Klage über fehlende Resonanz.


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