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«Wandzeitung» vom 19.10.2016:

Hochzeiten:

Rituale.

Ich tanze auf vielen Hochzeiten, sagt man. Klar, ich mache Verschiedenes, verschieden punkto Art und verschieden in der Qualität. – Bei mir waren die Hochzeiten mal protestantisch mal katholisch. Kurz gesagt: Die Katholiken können’s besser. Schönere Gewänder, berührendere Musik, bessere Architekturen. Die Reformation hat der Kirche vieles weggenommen: die Bilder, die Musik und noch einiges anderes mehr.

Nun aber habe ich vor einigen Wochen die eindrücklichste aller Hochzeiten erlebt, die für einmal zwar reformiert, aber trotzdem ganz anders als alles war, was ich bisher gesehen habe. Weil Sie nicht dabei waren, beschreibe ich kurz, was das Besondere war. Die mehr oder weniger bekannten Teilnehmer oder Gäste: Mathula, der Detektiv aus «Ein Fall für zwei»; seine berückend schöne Ehefrau Sarah, der Verwaltungsratspräsident der SWISS, 175 andere Gäste plus ich und drei Musiker und Musikerinnen, die man gebeten hatte, der Feier einen festlichen, klassischen Akzent zu geben. Nun war bereits in der Vorbereitung einiges überraschend: Zunächst wurde die Elisabethenkirche in Basel als würdiger Rahmen vorgesehen, dann wurde unversehens die St. Margarethenkirche in Binningen aktuell. Der Pfarrer sollte mich rechtzeitig anrufen, um Einzelheiten der Musik und des Ablaufs zu koordinieren. Da erhalte ich knapp eine Woche vor dem Anlass einen Anruf: «Hallo André, hier ist Tom, der Pfarrer der Hochzeit.» Ich war vom Du etwas überrascht, weil ich Tom noch nie gesehen oder gehört hatte.

Nun aber zur Hochzeit selbst: Tom Myhre, ein Norweger, der in den USA aufgewachsen ist, kommt im Strassenanzug zum Taufstein und begrüsst die Gesellschaft ohne Zettel und Manuskript. Der Einzug der Braut – der Bräutigam war schon vorne – verläuft gemessen, am Arm ihres Vaters, den ich noch nie in einem klassischen Anzug gesehen hatte.

Ausserordentlich selten ist es, dass ein Pfarrer eine Hochzeit ohne Blätter, Manuskripte und Spickzettel abhalten kann. Bei Tom war es so. Sarah, Mathulas Ehefrau, erzählte (ebenfalls ohne Papier) die Geschichte, wie sich die beiden Hauptpersonen kennengelernt hatten: berührend und unsentimental. Die neu formulierten Fragen zur Eheschliessung wurden von Klaus und Rona mit kräftigem Ja beantwortet, worauf Tom zur Gitarre griff und sich selbst zum Gesang begleitete. Die Hochzeitsgäste sangen den Refrain mit, ein einfaches «Halleluja». Der klassische Anteil der Winterthurer war gut platziert und wir haben stehend vorne gespielt – gewöhnlich wird man ja auf die Empore verbannt.

Bevor die Zeremonie zum Abschluss kam, geschah noch einmal etwas Aussergewöhnliches: Tom Myhre segnete das Brautpaar und die Festgemeinde – das tun andere Pastoren auch – aber Tom Myhre besann sich auf den ältesten Segensspruch der Bibel, den Birkat kohanim, der bis heute im Gottesdienst des Judentums gesprochen wird. Tom Myhre tat dies mit der jüdischen Handhaltung (Hände gespreizt zwischen Ring- und Mittelfinger) und auf Hebräisch. Wir waren alle so gerührt, dass vielen die Tränen in die Augen traten.

Sorry, dass ich heute etwas persönlich wurde, aber in unserem gehetzten Alltag sind solche Rituale selten – und wichtig.


André Bernhard,
19.10.2016, 115. Jahrgang, Nr. 293.

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