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«Wandzeitung» vom 2.2.2016:

Alltägliches:

Eingriffe.

Vier Uhr morgens. Die Welt ist in Watte gepackt, endlich. Frische Fussspuren im Schnee. In der warmen Kammer vermischt sich der Duft von einer heissen Schokolade mit dem Tigerbalsamwickel. Eine Halsentzündung wird abgewürgt. Kein Interesse! Die Anspannung der letzten Tage ist abgefallen. Dominik schläft wieder – in seinem eigenen Bett.

Wenn das Kind ins Spital muss, ist alles von Emotionen begleitet. Nichts Grosses und vor langer Zeit geplant. Die Weisheitszähne mussten raus. Alle Viere, noch fest verankert, schlummerten sie in den Tiefen der Backenknochen. Dort lauerten sie, um bald die von Mühen geplagten letzten Jahre fein korrigierter Zahnstellung zu sabotieren – ohne uns! Wenn das Kind behindert ist, ein besonderes Unterfangen. Wer macht so einen Eingriff? Ein Gesichtschirurg. Es musste unter Vollnarkose gemacht und ein Operationssaal gemietet werden. Dann das Spiessrutenlaufen der Kostengutsprache. Die Krankenkasse klammert geschickt die Behandlung der Weisheitszähne aus der Prozedur der Zahnstellungskorrektur aus. Obwohl dies ja meist einhergeht. Am besten hat man mit diesen riesigen, knöchernen Kreaturen der Weisheit gar nichts zum tun (also ich meine nicht die KK). Dabei sind sie ja meistens wegen Platzmangel ein Problem. In einem Gonfigläschen liegen sie nun vor mir. Die IV soll dann die Vollnarkose übernehmen. Vermutlich hätte ein anderer Mensch das aufschneiden des Zahnfleisches auf dem Stuhl in der Praxis über sich ergehen lassen müssen. Der Operateur wollte sicher gehen und verlangte sein Honorar per Vorauskasse. 1450 Franken kann man ja locker aus der Portokasse nehmen, oder?

Dominik gut vorzubereiten, war die halbe Miete. Zwei weniger gute Erfahrungen mit der Vollnarkose machten Bedenken. Aber es war viel Zeit ins Land gegangen inzwischen und wir hofften auf die Neuerungen in der Medizin. Das Glück war uns hold und er kam in ein Zweierzimmer, zusammen mit einem netten, verständnisvollen Bettnachbarn. Das Pflegepersonal war sehr freundlich und fast familiär. Dominik durfte die meisten duzen. Die Vorgespräche waren gut, der junge Mann zuversichtlich, die Mutter auch. Die erste Blutentnahme seines Lebens, die Embolie-Spritzen am Abend, meisterte er gut. Und dann der Einzug in den OP, frühmorgens, ganz ohne Mama – wow!

Ich erwartete ihn dann im Zimmer. Freudestrahlend, mit dem Corpus Delicti in der Hand, wurde er hereingerollt. Es war alles super gelaufen. Diesmal erwachten alle Körperteile brav innert guter Frist. Über den Kollaps beim ersten Toilettengang sehen wir grosszügig hinweg. Das gehört fast zur Familientradition. Noch eine Nacht zur Überwachung. Solange die Infusion dranhängt, kann man schnell reagieren. Am Morgen empfing er mich mit Hamsterbacken aber gesunder Farbe. Wieder ein Abenteuer hinter uns. «Mama, das Schlimmste von 2016 haben wir schon geschafft!», meinte er dann mit einem Strahlen. – «Hm, das können wir leider nicht wissen. Das Leben ist voller Überraschungen», meinte ich ehrlich. Und dachte dabei an die bevorstehende Lehrabschlussprüfung.

 

 


Momo Appenzeller,
2.2.2016, 115. Jahrgang, Nr. 33.

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