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«Wandzeitung» vom 9.10.2016:

EIN SATZ:

Scoopidoo.

Unsern täglichen Skandal gib uns heute. MEDIALE GEBETSMÜHLE.

Vor zwei Wochen schrieb ich: «Die Nerven liegen blank. Verständlicherweise. ... Der Politik in der kleinen, beinahe grossen Stadt, die wir alle gut kennen, ist ... widerfahren. Und füllt Leserbrief- und andere Spalten.»

Heute schreibe ich dasselbe. In 14 Tagen vielleicht auch. Ganz sicher aber in einer späteren Kolumne. Es sind zwar andere Nerven bzw. die Nerven anderer Akteure, aber das ist der Berichterstattung egal.

Schliesslich lebt nicht nur das Morgenland in streng religiöser Tradition, sondern auch das angeblich aufgeklärte Abendland. In biblischer Zeit wurden zu Jom Kippur – heuer am 12. Oktober – durch Handauflegen die Sünden auf einen Ziegenbock übertragen und dieser in die Wüste gejagt. Es war nicht vorgesehen, dass er eine Oase fand und überlebte. Es dürfte aber häufiger der Fall gewesen sein als gedacht.

In der kleinen, bald grossen Energiestadt, die wir alle gut kennen, sind wir – der protestantischen Arbeitsmoral frönend – ein paar Wochen früher als zum jüdischen Feiertag allzeit bereit. Mangels Wüste verjagen wir die Sündenböcke aus Stellungen und Ämtern, und bei jenen, die nicht gehen wollen, schrauben wir die Empörungsspirale kontinuierlich höher. Wehe, wenn sie eine Oase finden, s. oben.

Medialer Druck hat die Daumenschrauben der mittelalterlichen Inquisition abgelöst. Zur Mässigung aufrufenden Stimmen wird falsche Solidarität unterstellt. Zero Tolerance. Klärende Rechtsmittelentscheide, die nicht im Sinne der Skandalstruktur ausfallen, werden verschwiegen. Die klassischen Grundsätze, den Betroffenen Gehör zu gewähren und ihnen dabei auch inhaltlich und nicht nur formal zuzuhören, sind nur lästig, es gilt Anklage und Verurteilung um jeden Preis. Die Unschuldsvermutung haben eh bloss fremde Richter in Strassburg erfunden. Und wer verteidigt, ist a priori mitverdächtig, betreibt Täterschutz und passt nicht in die Empörungsbewirtschaftung.

Genau Bewirtschaftung. Nur der Scoop, der Primeur bei einem handfesten Skandal hält das Medium im Geschäft, «Wandzeitungen» ausgenommen. Und wo der Skandal nicht ergiebig genug, wird er zugespitzt. Nicht mehr Religion steht im Vordergrund. Und auch nicht, dass nur, wer ohne Schuld sei, den ersten Stein werfe. Die religiöse Motivation ist säkularisiert und kommerzialisiert. Archaisch ist der Dualismus gut-böse aber immer noch. Aber nur er lässt sich verkaufen, nicht die Zwischentöne. Buchdicke Untersuchungsberichte fallen im Sinne der Auftraggeber aus und bleiben unhinterfragt. Wo sie dennoch differenzierter bei der Schuldverteilung werden, blendet man das aus. Hauptsache, wir fühlen uns sauber, die wir zum Kreis der Guten zählen, aus dem die andern, die Bösen, ausgeschlossen sind.

So endet wieder einmal etwas getreu dem Handbuch Betriebswirtschaftslehre mit den klassischen letzten drei Stadien der Projektabwicklung: 1. Suche der Schuldigen, 2. Bestrafung der Unschuldigen, 3. Auszeichnung der Nichtbeteiligten. Und hinterlässt einen Haufen verbrannter Erde.


Adrian Ramsauer,
9.10.2016, 115. Jahrgang, Nr. 283.

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