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«Wandzeitung» vom 23.7.2016:

Körperlich entscheidend:

Beinah um den Verstand gebracht.

Jeremias Gotthelf predigte «Geld und Geist» und er meinte damit das Portemonnaie und den Geist der Bauern im Emmental, die Verhältnisse von Arbeit und Gläubigkeit. Der andere berühmte Schweizer, Albert Einstein, krümmte die Räume, um darin die Zeit einzufangen. Sowohl der Prediger wie auch der Physiker kanzelten das Volk und dachten an die Schwarzen Löcher, die es sowohl in den Banken wie im Universum noch einzufangen und zu füllen gilt. «Geld und Geist» sowie «Raum und Zeit» sind seither zwei beliebte Wortpärchen, die im Volksmund den Partnertausch nicht scheuen, wenn’s grad gelegen kommt. «Zeit ist Geld», regiert die Welt, «Zeit und Geist» reklamieren den Mainstream, wonach das Universum auseinander driftet. Nur der Raum bleibt oft allein und ist beinah zu einem Single geworden.

Natürlich werden heute Bauten dem «Zeitgeist» nachgebaut. Relativ einfältig und öde. Dabei hätte der Raum einige Hochzeiten zu bieten. Zum Beispiel mit dem Geist. Allerdings müsste dann der Geist seine Liaison mit der Zeit einstellen. Denn diese bringt weder Geld, noch lässt sie sich von Räumen bestimmen. Aber der «Raumgeist», wow, dieses Paar hätte Power. Denn der Raumgeist fühlt, ob Menschen zu Burnout neigen, ob Konflikte entstehen, ob Prinzipien des Verstandes eingehalten werden und ob überhaupt an Vernunft gedacht werden kann. Vernunft ist wie ein innerlich lesender Spiegel, der erkennen kann, ob zum Beispiel ein Verkaufsraum Umsatz generiert, ein Verwaltungsbüro die Arbeitsenergie minimiert, Entscheidungen schlicht mit dem Schatten des Verstands verwechselt werden, der mobbt, die Kommunikation durcheinander bringt und Krisen erzeugt. Der Raumgeist kooperiert mit der Vernunft, ja er fördert sie und kann auch unerwartet zuschlagen, wenn die Zeit ihm auf den Wecker geht.

Wenn wir die moderne Architektur schauen, so leidet der Raumgeist. Von Diversität ist da kein Jota zu erkennen. Alles wird gleich, beinah um den Verstand gebracht. In den meisten Räumen fehlt die Luft und zeitgleich das Licht, das durch alle Wände dringt. Ich kenne Menschen, deren Arbeitsleistung um 20 Prozent sinkt, nur weil mit «Raumgeld» der Geist nicht mehr gefühlt werden kann oder mit zu wenigen Arbeitsräumen die Zeit zu Hause verbracht werden will.

Ich glaube, es sind nur wir Menschen, die meinen, direkt aus der Sinneserkenntnis auf den Verstand zu schliessen und Schlüsse zu ziehen, die jedem Urteil zu denken gibt. Statt Prozesse in Organisationen zu führen, überlassen wir sie dem Gericht. Spätestens wenn unserem Verstand der Atem ausgeht, erinnern wir uns an den Geist, den wir einmal fühlten, ihm aber den Raum verwehrten, als er um Einlass bat. Wer heute dem Nachdenken keinen Raum mehr gibt, und nichts ändert, wo nötig, wird später womöglich nicht mehr verstehen können. Raumgeist ist ein sehr persönlicher Mahnruf, uns unserer Verantwortung zu stellen. Raumgeist ist daher ein Aufruf, nicht nach Ausreden zu suchen, sondern nach anderen Lösungen als bei vielen menschengemachten Katastrophen. Schliesslich erleben wir die Folgen unserer Handlungs- und Denkweisen am eigenen Körper, und das Ende könnte tragisch sein.

 

 


Heiner Dübi,
23.7.2016, 115. Jahrgang, Nr. 205.

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