Logo Wandzeitung
Herausgeber: Guido Blumer & Roger Rutz.
Archiv:   Blog:   Echo:   Home:   Kontakt:   Leitbild:   Partner:   Sponsoren:   Twitter

«Wandzeitung» vom 22.9.2016:

Pro Hausmensch:

Vollzeit-Arbeitswoche.

Gerade habe ich meine erste Vollzeit-Arbeitswoche hinter mich gebracht; ich komme jeweils hundemüde nach der Arbeit nach Hause und bin nicht mehr in der Lage, neben essen und fernsehen irgendeiner anderen Tätigkeit nachzugehen. Allein schon diesen Text zu verfassen bringt mich an die Grenze meiner geistigen Leistungsfähigkeit, weil mein Hirn vollgestopft ist mit Protokollbereinigungen, Klageschriften und Arbeitszeiterfassungssystemen.

Die Wäsche und das dreckige Geschirr würden sich stapeln, der Müll wäre nicht nach draussen gebracht worden, die Wohnung wäre verstaubt und ich würde mich vermutlich von Fertiggerichten ernähren – wäre da nicht der Hausmann. Zufälligerweise hat mein Partner genau jetzt, wo ich meine Stelle antreten kann, frei. So kommt es, dass ich mich jeden Abend an einen gedeckten Tisch setzen und frisch zubereitetes Essen geniessen darf. Am ersten Abend wurde mir sogar ein kühles Bier in die Hand gedrückt!

Da kann ich plötzlich sehr gut nachvollziehen, warum so viele Männer früher und auch heute noch die Rolle des Alleinernährers gerne einnahmen und einnehmen, denn obwohl man ja dem Wortlaut nach ernährt, muss man weder kochen noch spülen.

Allgemein würde ich manchmal gerne die Geschlechter tauschen, allein schon der vielen Vorteile wegen: Es herrscht zum Beispiel kein Rasurzwang, im Gegenteil: Als Mann kann man einen Schnurrbart tragen, ohne gesellschaftlich geächtet zu werden; im Dunkeln kann man alleine und ohne ungutes Gefühl nach Hause spazieren; Erfolg wird von anderen grundsätzlich als durch Kompetenz verdient angesehen; das männliche Äquivalent für eine Schlampe ist ein Playboy und Zweiteres wird statt mit Verächtlichkeit mit Bewunderung ausgesprochen. Und – natürlich – man kann im Stehen pinkeln und muss dafür auf öffentlichen Toiletten meistens nicht einmal anstehen.

Ich weiss, ich weiss, da sind auch Nachteile. Dass man nicht in der Öffentlichkeit weinen darf zum Beispiel. Oder dass man sich auf dem Spielplatz rechtfertigen muss, man wolle seine eigenes Kind abholen, weil man irgendwie verdächtigt wirkt; dass man während Erzählungen von erlebter häuslicher oder sexueller Gewalt ausgelacht statt getröstet wird, weil die in vielen Köpfen herrschende Vorstellung, Männer seien eigentlich nur Penisse mit Beinen es verunmöglicht, sie als komplexe und individuelle Menschen wahrzunehmen. Oder die belächelnde Reaktion, wenn einer eben erzählt, er sei Hausmann. Diese Aussage kann nämlich für das rollenbildbehaftete Gegenüber nur eines heissen: Aha, der hat also zuhause nicht die Hosen an. Und das, obwohl in einer guten Beziehung Hosen ja sowieso überflüssig sind.

Solche vereinfachenden, antiquierten Bilder sind nicht nur unrealistisch und verzerrt, sie sind auch Gift für einen respektvollen zwischenmenschlichen Umgang. Ich jedenfalls bin spätestens nach letzter Woche voll Pro Hausmann, oder besser: Pro Hausmensch.

Oder um es anders zu formulieren: Ich finde, Frauen gehören in die Küche. Männer auch. Eigentlich gehören alle Menschen in die Küche, da gibt es schliesslich Essen.


Anita Hofer,
22.9.2016, 115. Jahrgang, Nr. 266.

Artikel als PDF downloaden

Zu diesem Artikel wurde noch kein Standpunkt abgegeben.

 

Veröffentlichen Sie als erste Person Ihren

Standpunkt*:

Name:

*Wir freuen uns sehr über Ihre Gedanken zum Text des Tages, bitten Sie jedoch, keine Personen zu verunglimpfen und deren Haltung mit Respekt zu begegnen. Danke schön. Verstösse gegen unser Leitbild werden indes nicht verbreitet.

 

Winterthurs kleinste Zeitung der Schweiz.