Logo Wandzeitung
Herausgeber: Guido Blumer & Roger Rutz.
Archiv:   Blog:   Echo:   Home:   Kontakt:   Leitbild:   Partner:   Sponsoren:   Twitter

«Wandzeitung» vom 22.2.2016:

Gedanken über einen Text von Thomas A. Becker, NZZ 6.1.16:

Moral ist Privatsache.

Soll der Staat bestimmen, was seine Bürger als moralisch gut zu finden haben? Soll er die freie Marktwirtschaft so regulieren, dass sich die Unternehmen nach einem ethischen Massstab der sozialen Verantwortung zu benehmen haben? Es sei ein unheilvoller Trend, den der Staat und das Recht zu bemühen als «Vehikel der Mehrheitsmoral». Es mache sich ein sanfter Paternalismus breit, welcher aus den Absichten von vielen Gesetzesinitiativen spreche. Etwa die Konzernverantwortungsinitiative, die den global tätigen Unternehmen vorschreiben will, verbindliche Sorgfaltspflichten wahrzunehmen und Umwelt- wie Menschenrechte zu respektieren bei ihren Geschäften vor allem in den Ländern des globalen Südens. Es geht in dieser Volksinitiative darum, die Konzerne auf die Wahrung ihrer sozialen Verantwortung zu verpflichten, mit mehr Transparenz der Finanzflüsse und der Rechenschaftsablegung.

Unverkennbar sind auch die staatlichen Interventionsabsichten auf den Feldern der Prävention: Suizidrate und Straftaten sollen sinken, die Ernährung der Bevölkerung sich verbessern mit Kampagnen, Alkoholprävention, Tabak. Der Staat wird immer mehr zum Vorkämpfer einer besseren, gesünderen, gerechteren und menschlicheren Welt. Das Recht werde zunehmend eingesetzt, um die moralischen Einstellungen der Bürger zu beeinflussen, um sie zu erziehen, in dem der Staat warnt, empfiehlt, erwartet, nahe legt, aber auch konkret gesetzlich festsetzt. Das schreibt Thomas Becker in der NZZ vom 6.1. Er widersetzt sich dieser neuen Moralisierung von Recht und Politik, dass er als Mittel dagegen nur den totalen Widerstand sieht, die Moralabstinenz. Der Autor begründet mit Immanuel Kant diese komplett entgleiste Rolle des Staates. Kant lehnte die Tugendzumutungen des Polizei- und Wohlfahrtstaates ab und besteht auf der Trennung von Recht und Moral. Der Staat solle sich auf die Wahrung der Ordnung beschränken und keinen Zugriff auf die moralische Innensteuerung der Bürger erhalten. Moral sei Privatsache.

In der Trennung zwischen Recht und Moral steckt der Freiheitsbegriff der liberalen Gesellschaft, und diese kantische Trennung, dass der Staat die Finger von Gesinnungen lassen soll, ist in der Tat eine der zentralen Errungenschaften der Moderne. Sie kann aber nicht das Feigenblatt sein für eine Freiheit, die sich über ethische Massstäbe hinwegsetzt, Moralabstinenz ist kein Freipass zum «links schnore und rächts läbe». Und für die Wirtschaft sollen möglichst wenig Regulierungen, wenig rechtliche Rahmen gelten, damit man unbehelligt hinterziehen, übervorteilen, ausbeuten kann? Alles Privatsache!

Ich bin froh darüber, dass sich der für Staat eine gerechtere Weltordnung engagiert; dass wir der Bundesverfassung eine Präambel vorangestellt haben; in der Schweiz weiterhin zur Menschenrechtskonvention stehen und am humanitären Völkerrecht mitgewirkt haben, und ich hoffe, dass der Staat weiterhin mit einem den Problemen angepassten Rechtsrahmen das friedliche, gerechte und rücksichtsvolle Zusammenleben fördert. Die Balance dafür muss immer wieder neu ausgehandelt werden, aber die Abtrennung der Moral als Privatsache ist gar kein Ausweg.


Maja Ingold,
22.2.2016, 115. Jahrgang, Nr. 53.

Artikel als PDF downloaden

Zu diesem Artikel wurde noch kein Standpunkt abgegeben.

 

Veröffentlichen Sie als erste Person Ihren

Standpunkt*:

Name:

*Wir freuen uns sehr über Ihre Gedanken zum Text des Tages, bitten Sie jedoch, keine Personen zu verunglimpfen und deren Haltung mit Respekt zu begegnen. Danke schön. Verstösse gegen unser Leitbild werden indes nicht verbreitet.

 

Winterthurs kleinste Zeitung der Schweiz.