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«Wandzeitung» vom 20.9.2016:

Das Warten zermürbt:

Aus dem griechischen Flüchtlingscamp.

Diesen Sommer war ich in Griechenland und habe in Flüchtlingscamps gearbeitet. Gegen 60 000 Flüchtlinge sind in Griechenland gestrandet und blicken in eine ungewisse Zukunft. Ein Drittel davon sind Kinder. Das Warten zermürbt sie. Es gibt Camps, in denen gibt es täglich dasselbe Militäressen ohne Früchte oder Gemüse, Fehl- und Mangelernährung, besonders bei Schwangeren und Kindern, sind ein Thema. Auch Schulen gibt es längst nicht in allen Camps. Und das alles findet statt in Europa.

Es sind private Helfer, welche das Leben in den Camps ein wenig erträglicher machen. Die aufgeweckte 14-jährige Irakerin Ayla sagte mir in fliessendem Englisch: «Ich liebe die Schweizer und die Deutschen. Seit ich nach der gefährlichen Überfahrt in Idomeni gestrandet bin und nun hier im Camp, sind sie es, die uns helfen. Wenn ich gross bin, werde ich in die Schweiz oder nach Deutschland gehen und den Menschen dort ganz viel helfen. Ich will ihnen etwas zurückgeben.» Dies sagte sie mir, während wir Essigwickel für ein neun Monate altes syrisches Baby machten, welches sich in bedenklichem Gesundheitszustand befand. Wir wussten nicht mehr was tun, das Baby hatte seit längerem sehr hohes Fieber und die Aussentemperatur im Zelt betrug ebenfalls über 40 Grad. Die ärztliche Versorgung in Griechenland und in den Camps ist mehr als dürftig, die hygienischen Verhältnisse ebenfalls. Während die europäischen Staaten Stacheldrahtzäune errichten – die eine real und die anderen über Einreisesperren und politische Hürden – sitzen in den Camps Kinder, die voller Hoffnung und Lebensfreude sind. Viele von ihnen haben nichts kennengelernt in ihrem Leben als Krieg und Flucht.

Nicht wenige Jugendliche zeigen mir auf ihren Handys die Bilder ihrer getöteten Angehörigen – die einzige Erinnerung, welche ihnen von ihren Liebsten bleibt. Die Debatten um die Waffenexporte in den Nahen Osten kommen mir in diesem Moment noch zynischer und surrealer vor, als sie es ohnehin sind. Denn auch die Schweiz hat vor kurzem die Menschenrechte faktisch ausser Kraft gesetzt, damit sie Waffen in reiche Erdölstaaten wie Saudi Arabien liefern kann. Und auch in Syrien sind Schweizer Handgranaten mitten im Krieg gegen Zivilisten aufgetaucht. Wenn ich hier erzähle, dass ich im Herbst wieder in die Camps gehe, fragen nicht wenige, ob es denn in Griechenland noch Flüchtlinge gebe. Deshalb ist es wichtig, dass wir nicht aufhören darüber zu reden und zu berichten, was hier in Europa vor unserer Haustür abgeht. Was es braucht ist eine gesamteuropäische Lösung – einen Verteilschlüssel. Dies entbindet die Schweiz jedoch nicht, selber aktiv zu werden und ihren Anteil an Flüchtlingen zu übernehmen. Dabei geht es nicht nur um eine humanitäre Selbstverständlichkeit. Wer die Grenzen schliesst, macht sich mitschuldig am Milliardengeschäft der Schlepper.

Wer die Flüchtlinge ihrem Schicksal in den Camps überlässt, gefährdet auch die eigene Sicherheit. Denn tatsächlich ist der IS bereit, einige dieser gut ausgebildeten Flüchtlinge zu sich zu nehmen, wenn sie in Europa verzweifeln, weil ihre Kinder keine Perspektive haben. Die meisten dieser Menschen liessen sich jetzt gut integrieren. Wenn aber Jahre gewartet wird, wird auch die Integration schwieriger und wird uns in jeder Hinsicht ein Vielfaches kosten.


Chantal Galladé,
20.9.2016, 115. Jahrgang, Nr. 264.

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