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«Wandzeitung» vom 2.6.2015:

Alltägliches:

Kerben.

Wenn man nach einer OP wochenlang herumliegend auf die Genesung warten muss, die sich elend lange hinzuziehen scheint, gehen einem allerhand Gedanken durch den Kopf. Bin ich nun im Herbst angekommen? Das scheint hart, da mein Lebensgefährte immer noch im Frühsommer lebt. Solange wir sonst auf derselben Wellenlänge ticken, ist das völlig egal. Die Zeit der Heilung war wieder eine Bewährungsprobe gewesen, die wir mit Bravour gemeistert haben. Was für ein Glück! Gefestigt in der Beziehung, beruflich unerfüllt. Ist es arrogant, die ständig feilgebotenen Putzjobs abzulehnen, weil sie mich längst mürbe gemacht haben?

Zeitgleich mit meiner Gebärmutter war auch mein Erstgeborener ausgezogen. Und dies obwohl einige Fakten dagegen sprachen. Er fragte mich: «Mama, ist das richtig, was ich mache?» Ich antwortete ihm: «Geh deinen Weg. Wenn du es nicht riskierst, weisst du es nie.» Das war immer schon mein Motto gewesen. Ich habe schon etliche Male wieder neu anfangen müssen.

Allein daheim, oftmals auf mein Bett reduziert, beschränkte sich meine Welt in diesem Frühling auf den einen Fernsehsender. Ich hatte mich so auf diese aufgezwungene Auszeit gefreut und wollte endlich wieder an meinem Roman arbeiten. Doch nicht nur in der Leibesmitte war da plötzlich eine Leere. Um nicht ständig auf das Stechen und Brennen im Bauch zu achten, konzentrierte ich mich auf diese Frauen-Sendungen zwischen 15 und 17 Uhr. Neben den Wiedersehen mit meinem Mann, dem Sohn und den Mails von geliebten Mitmenschen war das mein liebster Tagesinhalt geworden. Da hiess es nämlich, dass jede Frau schön sei und in sich selber vollkommen. Man solle sich wichtig nehmen und sich lieb haben. Altbekanntes, logo. Aber wenn man es täglich hört, bringt es einen auf den Weg. Ich wurde darin motiviert meine Kleiderberge auszumisten und schön einzusortieren. Ich habe mir vorgenommen, das übrig gebliebene auch wirklich zu tragen. Ich bin tatsächlich vom Fernsehen inspiriert worden und wage nun auch andere Kombinationen als vorher. Reine Verzweiflung? Mitnichten! Inzwischen ist die Sendung abgesetzt worden, aber die Botschaft ist angekommen.

Eine OP kann ein grösserer Einschnitt sein als der Übergang in ein neues Jahrzehnt. Egal in welchem Jahresring wir stecken, jeder hat seine Berechtigung und sein Gutes. Auch wenn etwas Zentrales nun fehlt in mir, hab ich mit mir Frieden geschlossen und Lebensqualität gewonnen. Wenn ich nun vor dem Spiegel stehe, sehe ich mehr Frau als je zuvor. Dieses neue Selbstbewusstsein steht mir gut. Möge es anhalten und sich weiterentwickeln. Bei sich angekommen zu sein und sich in den Arm zu nehmen, das wünschte ich mir für Männlein und Weiblein und dies möglichst früh. Damit wir jede Lebensjahreszeit geniessen können und uns nicht an Unwichtiges verschwenden und selber ausbremsen.


Momo Appenzeller,
2.6.2015, 114. Jahrgang, Nr. 153.

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