Logo Wandzeitung
Herausgeber: Guido Blumer & Roger Rutz.
Archiv:   Blog:   Echo:   Home:   Kontakt:   Leitbild:   Partner:   Sponsoren:   Twitter

«Wandzeitung» vom 9.6.2015:

Westliches Fernsehen für Russland:

Zuhören, statt Geschrei auf taube Ohren.

In der Diskussion um den Propagandakrieg zwischen Ost und West im Zusammenhang mit der Ukraine-Krise geht man im Westen oft davon aus, dass es in Russland und seinen Nachbarländern keine Möglichkeit gibt, ausgewogene Nachrichten zu bekommen. Diese Meinung ist hauptsächlich der völlig verzerrten Berichterstattung der staatlichen russischen Fernsehsender zu verdanken. Daher sind im Baltikum und in der Ukraine EU-Projekte für russischsprachige Fernsehkanäle injiziert worden, welche die Dinge ins rechte Licht rücken sollen.

Dabei vergisst man, dass wer in Russland eine kritische Berichterstattung wünscht, noch immer auf ein breites Angebot zugreifen kann. Obwohl die Bedingungen für freie Medien in Russland immer schwieriger werden, ist nach wie vor ein breites Informationsangebot vorhanden. Meine Bekannten aus der Schweiz staunen oft, wenn ich ihnen erzähle, dass ich meinen Nachrichtenhunger praktisch ausschliesslich aus russischen Quellen stille.

Wer das Internet nicht mag, kann sich an jedem Kiosk reichlich mit professionell gemachten Zeitungen und Zeitschriften eindecken. Bei Radio und Fernsehen sieht’s zwar wesentlich kritischer aus, aber es gibt noch das Radio «Echo Moskwy» oder den TV-Sender «Doshd», die tagtäglich berichten, analysieren, kommentieren und diskutieren. Auch in der Ukraine und im Baltikum gibt es bereits professionell gemachte russischsprachige Medien, die ohne staatliche Subventionen auskommen.

Es gibt also bereits Alternativen für alle jene, die mehr wissen wollen. Wollen! Doch wer denkt, er könne die Kreml-Medien im Baltikum und in der Ukraine verbieten und das russischsprachige Publikum mittels eigener Sender auf den «richtigen» politischen Kurs bringen, ist auf dem Holzweg. Jene, die das mediale Spülwasser der Moskauer Sender haben wollen, holen es sich per Satellit oder Internet. Dazu gehören auch all die TV-Shows, die Interpreten und Schauspieler, die zusammen eine russische Fernsehwelt bilden.

Stattdessen sollte man sich in der EU die unbequeme Frage stellen, warum sich die russischsprachigen Menschen in der Ostukraine, in Estland, Lettland und Litauen in diese virtuelle Realität flüchten. Vermutlich, weil sie sich im eigenen Land ausgeschlossen und unverstanden fühlen.

Leider sind die russischsprachigen Minderheiten in diesen Gebieten noch heute stark ausgegrenzt. Zum einen sind sie selber schuld, weil sie sich nicht aus ihrer sowjetisch geprägten Welt befreien wollen. Zum anderen werden sie von ihrer Umgebung oft als «Staatsfeinde» behandelt, was eine Integration nicht fördert. In der Ukraine fehlt bis heute das klare Bekenntnis der Regierung zur ukrainisch-russischen Doppelsprachigkeit. Diese Probleme werden auch künstliche Medien-Implantate nicht lösen. Statt sich von westlicher Seite am Geschrei auf taube Ohren zu beteiligen, sollte man sich besser zuhören.

Die Mittel müssten schon bestehenden Medien vor Ort zukommen oder zur Finanzierung von Korrespondentenstellen westlicher Medien in Russland genutzt werden, deren Zahl dramatisch zusammengeschrumpft ist. Statt Russland «aufzuklären», sollte sich der Westen darum bemühen, nicht selber blind zu werden.


Eugen von Arb,
9.6.2015, 114. Jahrgang, Nr. 160.

Artikel als PDF downloaden

Zu diesem Artikel wurde noch kein Standpunkt abgegeben.

 

Veröffentlichen Sie als erste Person Ihren

Standpunkt*:

Name:

*Wir freuen uns sehr über Ihre Gedanken zum Text des Tages, bitten Sie jedoch, keine Personen zu verunglimpfen und deren Haltung mit Respekt zu begegnen. Danke schön. Verstösse gegen unser Leitbild werden indes nicht verbreitet.

 

Winterthurs kleinste Zeitung der Schweiz.