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«Wandzeitung» vom 7.12.2016:

Wir sind nun voll im beklemmenden Zeitalter der überforderten Hirne wie des grossen Vergessens:

Plädoyer für lebensfrohe Langeweile.

Haben Sie auch schon mal die Erfahrung gemacht, dass Sie plötzlich nicht mehr wussten, ob Sie dieses oder jenes bereits erledigt haben? Ist Ihnen nicht auch schon öfters die soeben aufgekommene gute Idee blitzschnell entschwunden? Wollten Sie Frau Meier auch schon mal mit Namen nennen, aber die Meierei war schon aus dem Hirn, als sie diesen aussprechen wollten? Hans Lohberger nennt das Vergessen, die Kunst Bewusstes unbewusst zu machen. Friedrich Luft hält Gedächtnisschwäche schlicht für die wohlfeilste Methode, die Vergangenheit zu bewältigen. Und der nicht wirklich tierisch ernste Ambrose Bierce findet, dass Vergessenheit der Zustand oder die Verfassung ist, in denen die Bösen zu kämpfen aufhören und die Mühseligen und Beladenen ruhen.

So weit so gut, folgendes voll ungut: Die Pflichten der Menschen werden immer mehr. Im Berufsleben gibt es je nach Aufgabenkreis mehr oder weniger Druck. Das ist die bezahlte Arbeit. Und jetzt werden auch Eltern schulpflichtiger Kinder zunehmend gehetzt. Der freie Wille war mal. Bei meinen ersten beiden Schulkindergenerationen war das Eltern-Lehrkräfteverhältnis voll in Ordnung, es gab so was wie gegenseitigen Respekt: Ich war mit grosser Freude Wülflinger Schulpfleger. Seit indes das neue Volksschulgesetz in Kraft ist, dürfen Schulen die Eltern in die Pflicht nehmen, indem sie etwa gewisse Anlässe für obligatorisch erklären! Voll mündige Mütter und Väter, die aus welchen Gründen auch immer Söttigem vorsätzlich fernbleiben, müssen mit einer Busse von bis zu 5000 Franken rechnen. Dies allerdings nur, wenn die Schulpflege einen entsprechenden Strafantrag stellt. Und das geschieht scheint’s äusserst selten, wie eine Umfrage bei den Statthaltern zeigt, die für Bussen zuständig sind.

Es ist also absolut verständlich, dass immer mehr auch empathische jüngere Menschen derart überfordert sind, dass ihr Hirn nicht mehr mitmachen mag, weil die Hektik überbordet. Die alten Herrschaften haben auch laufend Prospekte und Informationen zu lesen und auf mindestens vier A4-Seiten Schulanlässe in Erinnerung zu halten. Die Gefahr des unabsichtlichen Gras darüber wachsen lassens ist gross. Gelassenheit war mal. Der Schreck indes ist dauernd in den Knochen: «Habe ich was vergessen, schon wieder?» Niemand zweifelt ernsthaft an der Kompetenz der Lehrkräfte, aber viele erwachsene Leutchen zweifeln an sich selbst, weil zu viel einfach zu viel ist.

Persönlich bin ich zutiefst davon überzeugt, dass wir in unseren Leben Langeweile fördern sollten, und es aushalten, dass wir auch mal nichts tun. Gar nichts! Einfach einen Nachmittag lang aufs Sofa liegen und alles stehen und liegen lassen, auch nichts zum Schnabulieren holen, nichts zum Sürfeln. Nicht lesen, keine Nachrichten hören, nur die Stille geniessen und abwarten, wie lange man die lebensfrohe Öde aushält.

Und es ist klar, dass die Übung je länger, je besser wirkt. Das ist die in uns allen schlummernde Magie der inneren Ruhe, die wir immer mal wieder hegen und pflegen und ausüben sollten. Sobald wir dem Hirn wie dem Körper genug Ruhe gegönnt haben, wird der Denkapparat wieder liefern, die Bewegungsanlage mit Kraft ausstatten. Und vergessen war gestern ...


Guido Blumer,
7.12.2016, 115. Jahrgang, Nr. 342.

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