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«Wandzeitung» vom 2.10.2014:

Alltägliches:

Öffentlichkeitsarbeit.

Haben Sie eine Frage? Ich antworte Ihnen. Auf meiner Stirn leuchtet nämlich ein unsichtbarer Schriftzug: AUSKUNFT. Ich will nicht arrogant rüber kommen. Noch heute, als Mittvierzigerin staune ich über all die Fragen, die auf mich zukommen. Viele fragen mich nach dem Weg – direkt und auch im übertragenen Sinne. Wer mich kennt weiss, die Antwort ist aufrichtig und zuweilen knallhart. So nach dem Motto: «Du kriegst so viel du tragen kannst.»

Fragen wie: «Wie spät ist es?» oder «Ist dieser Platz noch frei?» sind einfach. Auch: «Wo haben Sie diese Swissair-Tasche gekauft?» und: «Waren Sie mal Stewardess?» Aber Existentielles wie: «Bin ich lesbisch?» und wenn meine Therapeuten mich um Rat fragen, da wird’s komplizierter. Die Antwort darauf kann Jahre dauern, aber sie kommt. Es erfüllt mich mit Demut und Stolz, wenn mich kaum Bekannte um Rat fragen und mir Freunde ihre Geheimnisse anvertrauen. Meine Engsten haben mir schon oft geraten ins Sozialwesen zu wechseln. Aber ich fand den Einstieg nicht. Die Diplome fehlen. Als ich mit 15 Jahren auf der Suche war, habe ich eine sogenannte Wahrsagerin nach meiner Berufung gefragt. Sie meinte damals, wenn man zum Dienen geboren sei, sei egal wo. Bravo! Ich wurde Serigraphin, um etwas kreativ zu sein, aber nicht wirklich glücklich damit.

«Wo ist das Gemeindehaus?» – «Können Sie mir helfen?» – «Wissen Sie, wo die Rosentalstrasse ist?» – «Kannst du mir diesen Brief schreiben?» – «Warum hast du so einen jungen Freund?» Wenn ich meine Ruhe will, vermeide ich Blickkontakt. So werde ich auch nicht angesprochen.

Neider warnen mich, dass ich mich ausnützen liesse. Aber sie ahnen nicht mal ansatzweise wie viel zurückkommt. Das Lächeln von Fremden. Und die Dankbarkeit meiner Liebsten hat manches dunkle Loch gestopft. Stopp-Schilder aufstellen und Nein-Sagen ist eine Kunst. Sich abgrenzen und Distanz wahren, damit die Fragen der anderen nicht zu den eigenen werden, auch. Aber man lernt einiges. Sogar vor Leuten zu sprechen. Mich selber in den Mittelpunkt zu stellen, liegt mir aber nur hier. Sonst würden mich die Leute vermutlich auch nicht für ihre Zwecke aussuchen. Woran es sonst noch liegen mag, ist mir auch ein Rätsel. Ich bin so eine Durchschnittstype. Zuweilen etwas zerzaust. Aber das scheint anscheinend anzukommen, für das Unverfängliche und für den Tiefgang.

Offen sein für andere, ohne zu sehr öffentlich zu sein. Man ist nicht verklemmt, nur weil man keine Nacktselfies macht. Anderen ehrliche Komplimente zu machen ist ein Eisbrecher. Ich gebe zu, einige Menschen habe ich vorsätzlich erobert. Beziehungen sind Arbeit und gehören nicht an die breite Öffentlichkeit. Zerbrochen sind auch einige, weil ich zu standhaft geblieben war. Andere sagen stur. Anstatt dass ich den Durchbruch als Schriftstellerin geschafft habe, stelle ich mich dem Leben und friste ein tristes Berufsleben als Laborratte. Naturmedizin mit Liebe abfüllen ist auch dienen!


Momo Appenzeller,
2.10.2014, 113. Jahrgang, Nr. 119.

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Standpunkte:

18.10.2014, 09:33 Uhr.

Ruth Thurnherr schrieb:

Ja wirklich: Nicht nur die Texte – Momo IST Balsam für die Seele.


3.10.2014, 09:03 Uhr.

Andreas Friolet schrieb:

Ein sehr schöner Text! Danke.


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